Dießenbacher Informationsmedien

Der Xantener Raum in der Antike

Zum Projekt

Projektdaten

Projektart: Forschungsprojekt "Entwicklung von multimedialen Visualisierungsformen historisch-geografischer Entwicklungsprozesse und unterschiedlicher Erkenntnisstände am Bsp. der Colonia Ulpia Traiana und ihres Umlandes"
Laufzeit: 2000 - 2006
Projektteam: Claus Dießenbacher Projektleitung
http://ab-ntcl245.ab.hs-anhalt.de/medienzentrum/diessenbacher
Frank Dießenbacher Programmierung, Computergrafik, 3D-Modell
www.informationsmedien.com
Mark Tewissen Programmierung, Didaktik, Computergrafik
www.informationsmedien.com
Hans Joachim Schalles Archäologie
http://www.apx.de
Jürgen Form Filme
Auftraggeber: Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (jetzt Ministerium für Bauen und Verkehr)
und
Landschaftsverband Rheinland Archäologischer Park/Regionalmuseum Xanten
Präsentationen: Messen: "denkmal 2006", Leipzig, 25. - 28.10.2006, Halle 2, Stand E31, http://www.denkmal-leipzig.de
Internet: www.informationsmedien.com/projekte/xanten-infosystem
DVD: Archäologischer Park / Regionalmuseum Xanten

Das Team

Eins der beiden Computerterminals im RömerMuseum, auf dem das Informationssystem zu sehen ist.
In einer interdisziplinärer Kooperation zwischen Archäologen, Geologen, Archäobotanikern und Architekten wurden Topografie und Vegetation, Besiedlungsstrukturen und Architektur, Infrastrukturen und Straßen, Wasserleitungen und Flussläufe auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse rekonstruiert. Das Schichtenmodell ist hochdetailliert, so dass landschaftliche und architektonische Situationen sowohl im Ganzen als auch im Detail betrachtet werden können.

Das Schichtenmodell

Es besteht aus sechs Zeitebenen, wobei jede Ebene einen Geländeausschnitt von 8 x 8 km um die CUT bzw. deren Vorgängersiedlung zeigt . Die entsprechenden Vorgaben folgten lokalhistorischen Daten und aussagekräftigen Zeitebenen. Die erste Schicht zeigt die Zeit um 12 v. Chr. (Gründung des ersten Legionslagers Vetera castra I auf dem Fürstenberg). Die zweite Schicht ist auf ca. 60 n. Chr. angelegt (neronisches, in Stein ausgebautes Zweilegionenlager Vetera castra I, vorcoloniazeitliche Siedlung unter der späteren CUT), die dritte zeigt die Situation um 90 n. Chr. (nach Aufgabe von Vetera castra I an neuem Standort Lager Vetera castra II für nur noch eine Legion, Beginn einer Orientierung der vorcoloniazeitlichen Bebauung am späteren coloniazeitlichen Straßenraster). Die vierte Schicht stellt die Zeit um 200 n. Chr. dar (CUT in einer fortgeschrittenen städtebaulichen Entwicklung, vorstädtischer vicus im Bereich des späteren St. Viktor-Doms zu Xanten), während die fünfte Schicht um 330 n. Chr. (stark reduzierte, schwer befestigte spätantike Trcensimae), die sechste Schicht um 500 n. Chr. angesiedelt wurde (fränkische Besiedlung, fränkisches Gräberfeld und cella memoriae unter heutigem Xantener Dom).

Virtuelle Landschaft

Aufgrund der vom Landesvermessungsamt Nordrhein-Westfalen gelieferten Höheninformationen wurde zunächst ein dreidimensionales Geländemodell der heutigen Situation angefertigt. Das so entstandene Modell wurde anschließend durch Änderung des Rheinverlaufes und der Topografie des Fürstenberges an die damalige Situation angepasst. Für die Darstellung der Vegetation wurden geeignete Satellitenaufnahmen gescannt. Aus diesen Aufnahmen ließen sich mit Hilfe der Fotoretusche die unterschiedlichen pflanzlichen Situationen extrahieren, vervielfältigen und nahezu fotorealistisch auf die Geländesituation bringen. Diese Form der Abstraktion der Flora war anfänglich notwendig, da die damaligen Rechnerkapazitäten eine dreidimensionale, realitätsnahe Darstellung von Bäumen und Pflanzen nicht möglich machten. Mittlerweile bietet der Markt Computer mit erheblich stärkerer Rechnerkapazität, so dass gegen Ende der Projektarbeit die Texturen in den Perspektivansichten entfernt und durch räumliche Darstellungen der Vegetation ersetzt werden konnten.

Virtuelle Gebäude

Das RömerMuseum in Xanten
Zur Rekonstruktion der römerzeitlichen Siedlungen wurden zunächst Grabungspläne gescannt, auf denen maßgetreu die Gebäude dreidimensional rekonstruiert werden konnten. Analog der ersten Visualisierung der Vegetation wurden auch hier wieder spezielle Texturen für Mauer, Ziegel, Strohdach etc. angefertigt, die den Gebäuden einen realitätsnahen Eindruck gaben. Die Modellierung der Siedlungen, Aquädukte und Straßen fand immer zunächst unabhängig vom Geländemodell auf ebener Fläche statt. Erst danach wurden die einzelnen Modelle durch Höhenverschiebung der jeweiligen Geländesituation angepasst.

Potenziale: Forschung und Computermodelle

Im Laufe der Entwicklung des Schichtenmodells stellte sich ein überraschendes Potenzial dieser Darstellungsform heraus. Mit Hilfe des Modells war es nun möglich, einige in der Xantener Forschung noch wenig beachtete Fragen einer Klärung näher zu bringen. Dazu zählten u. a. die Trassenführung der städtischen Wasserleitung oder die Darstellung der zentralen Innenbauten von Vetera castra I. Gerade letzteres stellte sich bei der grafischen Umsetzung als schwierig heraus. Das auf dem Fürstenberg situierte Doppellegionslager lag auf einem von Nord nach Süd abfallenden Hang. Aus den publizierten Unterlagen ging nicht hervor, dass bei Ausgrabungen Planierungshorizonte beobachtet worden waren. Demzufolge mussten die Gebäude dort nicht eben, sondern der Hanglinie folgend erbaut worden sein. Anders als beim im Regionalmuseum Xanten ausgestellten Modell der principia von Mylius, das die Situation stark vereinfacht und das Gebäude auf einer ebenen Fläche zeigt, mussten die principia im digitalen Geländemodell an die topografischen Gegebenheiten anpasst werden. Diese Beobachtung warf zwangsläufig weitere Fragen auf: Wie wurden dann die Höhenunterschiede im Gebäude überwunden? Wie war die Dachlandschaft gestaltet? Im weiteren Verlauf stellte sich heraus, dass auch die übrigen Innengebäude der Hangneigung folgen mussten. Andere, vieldiskutierte Themen waren u. a. die Senkung des Wasserspiegels im Bereich des Hafens der CUT, die Problematik des römerzeitlichen Rheinverlaufs in seinen verschiedenen zeitlichen Ausprägungen insgesamt und dessen Auswirkung auf die Besiedlung sowie die Interpretation und Darstellung der römerzeitlichen Besiedelung unter dem heutigen St. Viktor-Dom.

Diese Beispiele zeigen, dass mit Hilfe der Visualisierung historischer Landschaften bzw. Siedlungsstrukturen durchaus auch archäologische Forschung vorangetrieben werden kann. Hierin manifestiert sich auch ein weiterer Vorteil dieser Visualisierungsform: Das Modell ist nie ?fertig?; da der Forschungsprozess kontinuierlich voranschreitet, kann auch das Modell den jeweiligen Veränderungen dem aktuellen Forschungsstand folgend angepasst werden. Diese Vorgehensweise sichert einen hohen Grad an Aktualität. Es ist künftig denkbar, den Besucher am Prozess der Erkenntnisgewinnung direkt teilhaben zu lassen bzw. später einmal sogar in diesen zu involvieren.

Öffentlichkeit

Da das virtuelle Landschaftsmodell aufgrund seiner komplexen geometrischen Gestalt und der Datenmenge zurzeit noch nicht auf einem kommerziell verfügbaren Computer in Echtzeit bereist werden kann, war es notwendig, hierfür ein spezifisches Softwaresystem zu entwickeln. Entstanden ist ein multimediales Informationssystem, mit dem der Nutzer durch die verschiedenen Zeitebenen interaktiv und in Echtzeit reisen und die jeweilige Epoche ihrer landschaftlichen Gesamtheit, aber auch im Detail, etwa ein Gebäude, betrachten kann. Das wesentliche interaktive Element des Systems ist ein ?Zeitschieberegler?, welcher mit einer eigens für dieses System entwickelten Überblendtechnik eine Reise von Zeitebene zu Zeitebene des Schichtenmodells möglich macht.

Der spätere Nutzer dieses Systems wird der Museumsbesucher und der fachinteressierte Laie sein. Die mit Hilfe moderner 3D-CAD-Systeme rekonstruierten und fotorealistisch visualisierten Darstellungen vermitteln ein gut verständliches und nachvollziehbares Bild von Landschaft und Architektur des Xantener Raums vor 1500 Jahren. Eine interaktiv einzublendende Karte der heutigen Situation bietet die Möglichkeit, einen Bezug zur Gegenwart herzustellen. Die hierdurch gegebene unmittelbare Vergleichbarkeit von Damals und Heute hilft, eine Vorstellung von Dimension und Bedeutung der römischen Stadt in Bezug zur Landschaft der Gegenwart zu gewinnen.

Unschärfe des Wissens

Die computergenerierten, realitätsnahen Darstellungen vermitteln ein scheinbar exaktes, umfassendes und detailscharfes Bild der Vergangenheit, an dessen Unmittelbarkeit weder ein künftiger Forschungsstand wird heranreichen können geschweige denn der aktuelle heranreicht; sie sollen lediglich helfen, sich ein Bild über das Vergangene zu machen. Man sollte sich also auch dem Problem stellen, wie die Überzeugungskraft dieser Bilder, nach denen leicht alles für wissenschaftlich erwiesen und abschließend erforscht angesehen werden könnte, zu relativieren ist und die Kluft zwischen dem tatsächlich Gesicherten, dem Interpolierten und dem frei Ergänzten als ?Unschärfe des Wissens? zumindest ansatzweise selbst visualisiert werden kann.

Mit der Hilfe eines mit der Maus bewegbaren ovalen Sichtfensters oder ?Scheinwerferkegels? kann der Benutzer z. B. die Draufsicht der Stadt, der Legionslager, der Ziegelei und der Straßen abtasten. In diesem Oval erscheinen dann Befundpläne, die den tatsächlich ergrabenen Zustand und somit die dokumentierten Überreste der Vergangenheit zeigen. Eine Gegenüberstellung von Befund und rekonstruierter Hypothese ist mit dieser Darstellungsform jederzeit gegeben.

Multimedien

Ist das genannte Sichtfenster z. B. über einem Gebäude platziert worden, so können durch einen weiteren Mausklick objektbezogene Zusatzinformationen zu den Themen Geschichte, Architektur, Grabung, Funktion und APX abgerufen werden. Eingeleitet werden diese Themen durch einen computeranimierten Kurzfilm, welcher wesentliche Kerninformationen zu dem Objekt liefert . Der ?Zurück?-Knopf am oberen linken Bildschirmrand bietet dem Nutzer die Möglichkeit, jederzeit zur Gesamtdarstellung des Landschaftsmodells und zur Zeitreise zurückzukehren. Hier findet er auch allgemeine Informationen, etwa zur Vegetation oder zur Topografie. Ebenfalls auf dieser Ebene lassen sich insgesamt zehn Filme abrufen, die zwischen 2 und rund 8 Minuten lang sind. Sie liefern zusätzliche Informationen zu Themen wie Importgütern, dem Verkehrsnetz, Bestattungsbräuchen, der Herkunft und dem Verbleib der in Xanten stationierten Legionen u. a. m.

Auslöser für die Entwicklung dieser Filme war die Überzeugung, dass einige wichtige Themen gar nicht oder nicht ideal nur in Bild und Text vermittelt werden konnten. Für diese wurde das Medium Film gewählt, das die jeweiligen Inhalte in einer dramaturgisch interessanten Mischung aus computeranimierten Sequenzen des virtuellen Modells und bewegten Bildern transportiert.

Daten

Kern des digitalen, multimedialen Informationssystems ist eine eigens entwickelte Datenbankstruktur, die Informationen (Texte, Bilder, Filme etc.) hierarchisch in Form einer Baumstruktur verwaltet. Die erste Ebene dieser Hierarchie bildet das gesamte Gelände. Dort sind allgemeine Informationen zur Topografie, Vegetation etc. abrufbar. In der zweiten Ebene werden Siedlungsstrukturen beschrieben. Die dritte Ebene schließlich behandelt einzelne Gebäude. Die Struktur ist so modular aufgebaut, dass sie jederzeit sowohl in der Breite als auch in der Tiefe erweitert werden kann. Der Betrachter kann durch Mausklicks im Gelände bzw. in den Siedlungsbereichen die Hierarchieebenen wechseln. So ist es möglich, selbst sehr komplexe Informationen von großflächigen Landschaften bis hin zu detaillierten Gebäudesituationen abzurufen, ohne sich in der Informationsflut zu verlieren.

Den sich durch die fortschreitende Forschung ändernden Erkenntnissen wurde dadurch Rechnung getragen, dass sämtliche Inhalte (Texte, Bilder, Filme etc.) ausgelagert und erst zur Laufzeit des Systems nachgeladen werden. So ist es prinzipiell auch Nicht-Informatikern leicht möglich, Inhalte zu administrieren bzw. zu aktualisieren.

Das gesamte System lässt sich in drei Teile teilen: der Datenbankstruktur als Kern, die für den Benutzer sichtbare Oberfläche und die Inhalte. Alle drei Teile sind streng getrennt voneinander programmiert, um leichte Austauschbarkeit einzelner Teile zu gewährleisten und somit eine Übertragung auf andere Informationssysteme oder auch auf andere Medien wie Internet oder Printmedien jederzeit zu ermöglichen.

Während der Projektbearbeitung zeigte sich, dass das entwickelte System in seiner hierarchischen Struktur und seinem modularen Charakter ein universelles Forschungs- und Präsentationswerkzeug für weite Felder der Archäologie, ja der Vermittlung komplexer Informationen in Gänze sein kann. Die intensiven und fortlaufenden Diskussionen zwischen den unterschiedlichen Fachdisziplinen während der Umsetzung führten zu zahlreichen Iterationsschritten, die nicht zuletzt wegen des sehr begrenzten Budgets ohne ein solches System nicht mehr hätten eingepflegt werden können. Im Ergebnis gibt es an manchen Punkten auch differierende, teils gar entgegen gesetzte Forschungsmeinungen unter Forschern: durch direkte Gegenüberstellung können sie die Vermittlung der ?Unschärfe des Wissens? unterstützen.

Forschung ...

schreitet fort! Für multimediale Systeme, die Forschung unterstützen und vermitteln wollen, ist es von großer Bedeutung, mit der Dynamik der Forschung Schritt halten zu können. Leichte, schnelle und damit kostengünstige Administration (Änderung von Inhalten) und Übertragbarkeit machen solche Systeme zukunftssicher und angesichts angespannter öffentlicher Kassen notwendig - besonders in unserer Museumslandschaft.

Das Projekt genoss große Unterstützung und eine erhebliche finanzielle Förderung durch das Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (jetzt Ministerium für Bauen und Verkehr NW), wofür die Verfasser sich insbesondere bei MR Prof. Dr. H. G. Horn bedanken.